~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~

Über die Notwendigkeit einer internationalen Weltordnung

Jürgen Habermas

ZEIT-Interview vom 6. November 2008 (Auszug)



Die ganze Programm einer hemmungslosen Unterwerfung unter die Imperative des Marktes muss auf dien Prüfstand... (Karrikatur Stephen Lee)


Blamiert hat sich die Agenda, die Anliegerinteressen eine rücksichtlose Dominanz einräumt, die ungerührt, wachsende soziale Ungleichheit,die Entstehung des Prekariats, Kinderarmut, Niedriglöhne und so weiter in Kauf nimmt, die mit  ihrem Privatisierungswahn Kernfunktionen des Staates aushöhlt, die die deliberativen Reste der politischen Öffentlichkeit an renditesteigernde Finanzinvestoren ver- scherbelt, Kultur und Bildung von Interessen und Launen konjukturempfindlicher Sponsoren abhängig mach
t... (Gespräch Habermas/Ratzinger)



 In den USA verschärft die Krise die jetzt schon sichtbaren materiellen und moralischen, sozialen und kulturellen Schäden einer von Bush auf die Spitze getriebenen Politik der Entstaatlichung. Die Privatisierung der Alters- und Gesundheitvorsorge, des öffentlichen Verkehrs, der Energieversorgung, des Strafvollzugs, militärischer Sicherheitsaufgaben, weiter Bereiche der Schul- und Universiätsausbildung und das Ausliefern der kulturellen Infrastruktur von Städten und Gemeinden an das Engagement und die Großherzigkeit privater Stifter gehören zu einem Gesellschaftsdesign, das in seinen Risiken und Auswirkungen mit den egalitären
Grundsätzen eines sozialen und demokratischen Rechtsstaates schlecht zusaammenpasst... Es gibt verletzbare Lebensbereiche, die wir den Risiken der Börsenspekulation nicht aussetzen dürfen; dem widerspricht die Umstellung der Altersversorgung auf Aktien. In demokratischen Verfassungsstaat gibt es auch öffentliche Güter wie die unverzennte politische Kommunikation, die nicht auf die Renditeerwartungen von Finanzinvestoren zugeschnitten werden dürfen. Das Informationsbedürfnis von Staatsbürgern kann nicht von der konsumreifen Häppchenkultur eines flächendeckenden Privat-fernsehens befriedigt werden...




Die Effekte der Wohlstandssteigerung sind national und weltweit so asymmetrisch verteilt, daß sich die Armutszonen vor unser aller Augen ausgebreitet haben... Seit den Anfängen der Moderne müssen Markt und Politik immer wieder so ausba- lanciert werden, daß das Netz der solidarischen Beziehungen zwischen den Mit- gliedern der solidarischen Gemeinschaft nicht reißt. Eine Spannung zwischen Ka- pitalismus und Demokratie bleibt immer bestehen, weil Markt und Politik auf ge- gensätzlichen Prinzipien beruhen. Auch nach dem letzten Globalisierungsschub verlangt die Flut der in komplexen Netzwerken freigesetzten dezentralisierten Wahlentscheidungen nach Regelungen, die es ohne eine entsprechende Erwei-terung von politischen Verfahren der Interessenverallgemeinerung nicht geben kann...  Aber selbst wenn sich die UN-Charta zu einer Art Verfassung entwickeln ließe, fehlte in diesem Rahmen immer noch ein Forum, auf dem sich die bewaffnete Machtpolitik der Weltmächte in institutionisierte Verhandlungen über die regelungsbedürftigen Probleme der Weltwirtschaft, der Klima- und Umweltpolitik, der Verteilung umkämpfter Energieresourcen, knapper Trinkwasserbestände und so weiter verwandelt. Auf dieser transnationalen Ebene entstehen Verteilungspro- bleme, die nicht in derselben Art wie Menschenrechtsverstöße oder Verletzungen der internationalen Sicherheit - letztlich als Straftatbestände  - entschieden werden können, sondern politisch ausgehandelt werden müssen... Da ich für die abgestufte Integration nach Lage der Dinge für den einzig möglichen Weg zu einer handlungs- fähigen Europäischen Union halte, bietet sich Sarkozys Vorschlag zu einer Wirt- schaftsregierung der Euro-Zone als Anknüpfungspunkt an. Das bedeutet ja nicht, daß man sich damit schon auf die etatistischen Hintergrundannahmen und pro- tektionistischen Absichten ihres Initiators einlassen würde. Verfahren und po- litische Ergebnisse sind zweierlei. Der "engeren Zusammenarbeit" auf wirtschafts- politischen Gebiet würde dann eine in der Außenpolitik folgen müssen. Und beides könnte nicht länger über die Köpfe der Bevölkerungen hinweg ausgekungelt werden... Die SPD-Führung überläßt es dem Christdemokraten Jürgen Rüttgers, dem "Arbeiterführer" an Rhein und Ruhr, in diese Richtung zu denken...