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Richard Sennett
(oben), Soziologe an der New York University und an der London School of Economics, zum 80. Geburtstag von  Jürgen Habermas

"Licht im Schattenreiche"

" Seit fast einem halbem Jahrhundert verkörpert Jürgen Habermas für seine englischsprachigen Leser die Aufklärung - in jenem ursprünglichen Sinne des Wortes, daß er das Licht der Vernunft in dunkle Winkel fallen läßt. Die angelsächsische Öffentlichkeit orientiert sich nicht am Modell der vernünftigen Diskussion; wir lassen uns eher von einem politischen Persönlichkeitskult und von den Manipulationen der Massenmedien in Bann schlagen. Habermas' Schriften haben mittlerweile drei Generationen von Studenten aus diesem Schattenreiche herausgeholt und dazu gebracht, systematischer und philosophischer über die grundlegenden Bedingungen des politischen und gesellschaftlichen Lebens nachzudenken. In den "Blutkreislauf" des angelsächsischen Geisteslebens ging Habermas zuerst durch den Essay Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus ein, der zu einem Schlüsseltext der Neuen Linken werden sollte. Mit der Übersetzung seiner Bücher Strukturwandel der Öffentlichkeit sowie Erkenntnis und Interesse wuchs der Kreis seiner Leser. Über diese beiden Werke bemerkte der Philosoph John Rawls mir gegenüber einmal: " Ob man mit ihnen einverstanden ist oder nicht, hier geht es in der Philosophie um etwas." Das scheint mir ihren anhaltenden Einfluß gut zu treffen. Habermas' spätere, eher technische Arbeiten über die Theorie des kommunikativen Handelns stießen bei uns auf weniger Resonanz, doch steht er seit seinen Schriften zur Biotechnologie, zur Religion und seinem Treffen mit Joseph Ratzinger wieder im Mittelpunkt der Debatten. Habermas ist für uns ein zeitgenössischer Autor und kein Geistesheroe, sodaß uns seine Stellung in der Geschichte des deutschen Denkens weniger interessiert als seine Fähigkeit, Diskussionen zu provozieren.

Ich selbst habe immer bewundert, wie unermüdlich und ohne eine Spur von intellektueller Begangenheit er Probleme durchdenkt. Mir fällt eine Autopanne bei einer gemeinsamen Fahrt durch die Provence ein. Während wir auf den Reperaturdienst warteten, kamen wir auf Kant zu sprechen, woraus sich eine Diskussion entspann, die Habermas unentwegt fortführte, während der Mechaniker eintraf, sich eine Stunde lang an unserem Wagen zu schaffen machte und schließlich wieder abzog. Daß eine prosaische Fahrt vor uns lag, hatte Habermas völlig vergessen. Dieselbe Unermüdlichkeit gilt auch seinem jeweiligen Gegenüber. Ich fürchte mich davor, wenn er eines meiner Bücher liest, weil er zielsicher seine philosophischen Schwachstellen ausfindig macht und sie gnadenlos aufdeckt. Freundschaft aber entsteht aus etwas anderem als aus geistiger Gleichartigkeit. Ich habe immer das Bedürfnis verspürt, mit ihm zu sprechen, uns so geht es auch dem unüberschaubaren Kreis seiner angelsächsischen Bewunderer. Er ist der, mit dem man denken und vielleicht sogar übereinstimmen kann.

Welches Los wird seinem großen Werk beschieden sein? Das ist in Wirklichkeit eine Frage nach dem Projekt der Aufklärung: Wird es, kann es von Dauer sein? An seinem 80. Geburtstag - einem unwahrscheinlichen Datum für einen, der so gegenwärtig ist - kann Jürgen Habermas in meinen Augen darauf vertrauen, daß sein Licht auch weiterhin hell, eindringlich und klar die dunklen Winkel ausleuchten wird.