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Der neue Geist des Kapitalismus

 

Eve Chiapello
 


Luc Boltanski





Luc Boltanski, 1940, Soziologe, Direktor  der "Ecole des Hautes Etudes en Scienes Sociales (EHESS/www. ehess.fr). Er war  Schüler von Pierre Bourdieu, von dem er sich später ablöste. Begründer der von "Actes de la recherche en scienes sociales". Mitbegründer "Groupe de Sociologie Politique et Morale (GSPM).  Mit Eve Chiapello 1999 "Le nouvel esprit du capitalisme" (deutsch,  2003, UVK Verlangsgesell-schaft, Konstanz)

"...  Anschließend wollen Boltanski und Chiapello an Max  Weber und an seine Be- trachtung anknüpfen, daß Menschen überzeugende moralische Gründe benötigen, um sich dem Kapitalismus anzuschlie8en; es muß ihm ein Sinn eingehaucht wer- den, der außerhalb der reinen Profitmaximierung liegt bzw. diese übersteigt, damit er sich legitimieren sowie Engagement und Einsatzbereischaft einfordern kann. Er muß dabei wirtschaftswissenschaftliche Argumente wie technischen Fortschritt oder die Effizienz einer konkurrenzstimulierenden Produktion überbieten, um drei Fragekomplexe zu betreuen: Wie ruft die Einbindung in den kapitalistischen Ak- kumulationsprozeß auch bei denen Enthusiasmus hervor, die keinen großen Nut- zen aus ihm ziehen, wie können die, die in den kaptitalistischen Prozeß integriert sind, für sich und ihre Kinder eine minimale Absicherung erhalten, und wie läßt sich im Sinne des Gemeinwohls die Teilnahme am kapitalistischen  Prozeß recht- fertigen? Die Antworten auf die Fragen, wie sich der Kapitalismus rechtfertigt und vor allem, wie er sich überdies noch wünschenswert macht, liegen nach Ansicht der Autoren im Geist des Kapitalismus begründet, der nicht mehr jeden Profit legitim, nicht jede Bereicherung gerecht und nicht jede Akkumulation zulässig findet...

... Den Geist des Kapitalismus als historisch veriabel in Abhängigkeit zum Stand der Akkumulation bzw. Produktion und der Art der Kritik gesetzt, kann man in drei historische Aggregatszustände wahrnehmen. Der dritte Geist, der für die Autoren das zu belegende Innovationsmoment des Kapitalismus darstellt, ist beseelt von Netzwerkkonzepten, die in einer "projektbasierten Polis" aufgehen. Diese Polis- variante, die als neue und siebte Form der "Ordnung der Größe" identifiziert wird, fordert und belohnt Mobilität, Verfügbarkeit und die Vielzahl an Kontakten. In ihrer Grammatik läßt sich Größe, also das, was besonders die Werte der Polis verkörpert, einmal am Grad der Aktivität messen. Indem Aktivität in Abhängigkeit zur Teilnahme oder Initiation von Projekten gedacht wird und das Leben als eine Folge von Projekten, betreibt man die Auflösung der Gegensätze zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit, Lohnarbeit und Nicht-Lohnarbeit.


 

 

Nikolas Rose with  Paul Nurse, Francis Collins, James Evans, Misha Angrist - World Science Festival 2008

Ähnlich den Analysen des britischen Soziologen Nikolas Rose wird konstatiert, daß die Individuen ein Projekt aus sich selbst machen, also in einer permanenten Neu- figuration zum Zwecke der Selbstoptimierung personal growth betreiben sollen. Nutzen aus Autonomie zu ziehen, Sicherheit und Stabilität abzulehnen, mobil, kommunikativ, polyvalent und anders zu sein - dies begründet Größe in der neuen Polis, deren basaler Moment Beziehungen sind. In dieser konnexionistischen Welt sind diejenigen erfolgreich, die Projekte wechseln können, neue Netze knüpfen, sich dabei für neue Netze empfehlen und begehrlich machen. Nicht-Größe entsteht bei Unfähigkeit zur Vernetzung, beim Festhalten an dauerhaften Verbindungen, die einen selbst nicht erweitern. Nur jene Verbindungen sind sinnvoll, die als Selbst- technologie eine Maximierung des Ich-Unternhemens versprechen. Nun besteht der Clou der Arbeit der beiden Auroren nicht nur darin, diese Erkenntnisse, die theoretisch in so vielen Publikationen zum Thema neuer Arbeits- und Organi- sationsformen auftachen, empirisch an die Managerliteratur der 90er Jahre zurückgebunden zu haben, sondern auch darin, in der "künsterischen Kritik" der 50er Jahre die Wurzel dieser heute zur Norm gewordenen Entwicklung zu sehen. Wie die amerikanische Autorin Marina Vishmidt die Konzeptkünstler und ihre Ideen von beispielsweise der Entmaterialisierung des Kunstobjektes als Proto- typen der neuen affektiven, immateriellen Arbeiter entwirft, zeigen Boltanski und Chiapello, wie die Forderungen der Kapitalismuskritik nach mehr Autonomie, Kreativität und nach authentischerer Beziehung in den Katalog eines kapita- listischen Habitus intergriert wurden. Mit der Übernahme traditionell künst- lerischer Eigenschaften wie Kreativität und Spontanität durch das Management- Dogma der flexibilisierten Ökonomie werden "künstlerische" Seinsweisen begehrenswert und notwendig. die Kritik, die in den 60er Jahren die bürgerliche Gesellschaft als bürokratisch und autoritätsfixiert beschrieb, wurde angeeignet und intergriert. Nicht nur Boltanski und Chiapello haben das registriert: Macht man sich die Mühe wie Ulrich Bröckling und vergleicht heutige Management- literatur mit anarchischen Texten, trifft man analog auf ganz erstaunliche und unangenehme Überschneidungen. Gleichzeitig wird in sehr überzeugender Weise geschildert, wie die Sozialkritik, personalisiert durch Gewerkschaften und ra- dikallinke Parteien, immer mehr an Boden verlor und keinen Einfluß mehr ausüben konnte, obwohl die sozialen Ungleichheiten sich immer merh unter dem Einfluß einer alleinigen öffentlichen Präsenz und Integration der "künstlerischen" Kritik verschärften. Verantwortlich dafür wird aber auch eine fehlende Aktua- lisierung der Kritik gemacht, die sich von den Transformationen des Systems orientierungslos machen ließ..."

(Auszug aus www.  literaturkritik. de , Nr. 2, 2/2005, von Johannes Spinger)