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Der Aufklärer

Zum Tode des Philosophen Werner Becker

Mitten im Hegel- und Marx-Boom der siebziger Jahre publizierte Werner Becker kurz hintereinander mehrere Bücher, die eine profunde Kritik an diesen beiden damals nahezu sakrosankten Denkern übten. Becker sah zu recht einen "eklatanten Mangel an objektiver und eindringlicher Textanalyse" der Werke Hegels und Marx', denen stattdessen mit ständig wiedergekauten Schlagworten und Sentenzen seitens ihrer verspäteeten Adepten akklamiert wurde. Dialektik hieß das Zauber- wort jenes Jahrzehnts, ja die Luft war gesättigt von dieser Dialektik. "Hegels 'Phä-

"Frankfurter Schule": Horkheimer und Adorno - Habermas hinten rechts.

nomenologie des Geistes'", "Hegels Begriff der Dialektik und das Prinzip des Idea- lismus" oder "Idealistische und materialistische Dialektik" waren Werke Beckers, die damals zu den ganz wenigen zählten - und heute noch zählen-, die sich die Mühe einer fairen, teils immanenten, teils scharfen externen Kritik der idealistischen wie materialistischen Philosophie machten. Mit den Schriften "Die Achillesferse des Marxismus: der Widerspruch von Kapital und Arbeit" sowie "Kritik der Marxschen Wertlehre", in der er die "methodische Irrationalität" der grundlegenden Theorien des "Kapitals" aufzudecken versuchte, schloß Becker diese Phase seiner philoso-phischen Laufbahn ab. Begonnen hatte seine Karriere in der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule - er war einer der letzten Assistenten Adornos, bei dem er 1963 auch promovierte. Bald darauf kam er in Berührung mit dem Kritischen Rationa-lismus sowie in die Nähe der Analytischen Philosophie, deren Theoreme er jedoch nur insoweit zur Kenntnis nahm, als sie ihm für seine eigene politische Philosophie brauchbar erschienen. Unter dem Titel "Die Freiheit, die wir meinen. Entscheidung für die liberale Demokratie" hat er 1982 seine - allzeit optimistische - Auffassung dargelegt, daß die genuine Philosophie der liberalen Demokratie am besten gegen ideologische Verführungen von rechts oder links gefeit ist. Eine letzte Wendung nahm sein Denken in dem 2000 erschienenen Band "Das Dilemma der menschli- chen Existenz", eine umfangreiche "historische Phänomenologie des Wissens um den Tod".

Universität Gießen: Weg-gespartes 'Zentrumfür Philosophie und Grundlagen der Wissenschaft'

Becker widmete sich mit Hingabe seinen akademischen Verpflichtungen, von 1971 bis 1987 an der Universität Frankfurt, später als Gründungsdirektor des Instituts für Philosphie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, danach an der Universität Gießen. Von 1991 bis 1995 hatte er das Amt des Präsidenten des Institut Interna-tional de Philosophie Politique in Paris inne. Nach seiner Emeritierung 2002 machte Becker in einer Kolumne in der Frankfurter Neuen Presse abstrakt-phi- losophisches Denken drängenden alltagspolitischen Fragen gefügig. In der vorigen Woche starb Werner Becker nach längerer Krankheit im Alter von 72 Jahren.

(Willy Hochkeppel, Süddeutsche Zeitung, 170, 2009).