~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~


Der Priester und der Narr



Der polnische Philosoph Leszek Kolakowski ist 81-jährig in Oxford gestorben (17. Juli 2009)

".... Kolakowskis Deutung der philosophischen Existenz läßt sich wohl am treffend-sten durch ein Begriffspaar erfassen, das er zum Titel eines Essays erhob: " Der Priester und der Narr". Dieser im Jahre 1959 veröffentlichte Aufsatz setzt mit der pointierten Feststellung ein: "Die Philosophie hat sich niemals vom Erbe der Theologie freigemacht."  Denn fortwährend nehme sie Fragestellungen auf, die ursprünglich in der Theologie beheimatet waren und die ihre erste Färbung auch unter geänderten Vorzeichen nicht verlieren.  So gebe es auch in der Philosophie den Drang einer "laizistischen Eschatologie", die Suche nach dem "absoluten Beginn", den Wunsch, das Wesen des Menschseins in einer offenbarungsähnlichen Formel zu bestimmen. Kolakowski spricht von der "permanenten Jagd nach dem Stein der Weisen", die sich von Mißerfolgen nicht entmutigen läßt. Wie im weite- ren Verlauf des Essays deutlich wird, fühlt sich Kolakowski selbst der Narrenzunft zugehörig, jenen also, deren Aufgabe es ist, ständig darüben nachzusinnen, "ob nicht die entgegengesetzten Ideen Recht haben". Gleichwohl sthet für ihn fest, daß auch die Priester ihre Existenzberechtigung haben, "wenn das Ganze nicht in die Luft fliegen soll". (Foto: Kolakowski mit dem 2009 verstorbenen Ralf Dahrendorf)

"Der Priester und der Narr" erscheint aus mehreren Perspektiven als ein Dreh- und Angelpunkt des Kolakowski'schen Denkens. Ende der fünziger Jahre schließt Leszek Kolakowski seine marxistische Phase ab, die wohl genauer noch als seine promethische zu bezeichnen ist. Nach der Kathastrophe des Zweiten Weltkrieges ging es dem 1927 in der Industriestadt Radom (hundert Kilometer südlich von Warschau) geborenen Philosophen um einen Abschied von den offensichtichtlich kraftlos gewordenen abendländischen Traditionen. Präziser:  um eine neue Welt, in der die sozialen Gegensätze und Widersprüche in einem Absprung aus der "bisherigen" Geschichte aufgehoben wären. "Der Marxismus war die größte Phantasie unseres Jahrhunderts", resümierte Kolakowski Jahrzehnte später in seinem Monumentalwerk "Die Hauptströmungen des Marxismus". Doch war dies die Sicht eines Ernüchterten, der wie der biblische Jakob erst am Morgen danach feststellen konnte, daß seine Leidenschaft nicht der schönen Rahel, sondern eigentlich der mattäugigen Lea gegolten habe. Für Kolakowski brach spätestens im Jahre 1956 jener Morgen an. Es war das Jahr, in dem Chruschtschew die Verbre- chen des Stalinismus enthüllte, das Jahr auch, in dem sich die Bevölkerung der sozialistischen Länder erhob. Kolakowski mußte erkennen, daß die "konsequente" Teilung der Welt in Schwarz und Weiß, in Revolutionäre und Antirevolutionäre eine Mär war. Im Rückblick wird Kolakowski von der allmählichen Erkenntnis einer "einfachen Wahrheit sprechen". Von der Einsicht, "daß die Gewalt Gewalt zeugt und keine Freiheit, daß der Terror Terror ist und kein Weg zur Gerechtig- keit, kurz, daß die Mittel notwendigerweise den Sinn der Zwecke bestimmen." ...

Als der Warschauer Denker Ende 1968 Polen als ein "Emigrant mit einem gültigen Paß" verläßt, bewahrt in seine Berühmtheit vor der Tristesse eines Exilantenda- seins. Zwar wehrt sich die marxismusbewegte studentische Fachschaft "erfolg-reich" gegen den Vorschlag Jürgen Habermas', Kolakowski auf den Adorno-Lehr- stuhl in Frankfurt am Main zu berufen. Doch findet der polnische Philosoph bald eine dauerhafte Wirkungsstätte im ehrwürdigen Oxforder All Souls College. Hier kann er die "Hauptströmungen des Marxismus" zu Ende führen, dem Glanz und dem Elend seiner Profession unter dem Stichwort "Horror metaphysicus" nachge- hen, die Wege und Abwege der Theologie abschreiten und sein Tun unter das bei- nahe vergesssene Dostojewski'sche "Falls es keinen Gott gibt" stellen... 

(Christian Heidrich, NZZ. 164. 2009)

Die Freiheit und das Böse - Den Marxismus beerdigt, den Liberalismus bezweifelt: Zum Tode des großen polnischen Philsophen Leszek Kolakowski

(Thomas Assheuer, ZEIT, 31, 2009):

"... Doch die Herschaft des Rechnerischen und bloß "Vernünftigen", so lautet seine Kritik, könne das Loch des metaphysichen Begehrens nicht stopfen, es könne kein "symbolisches Vertrauen zum Leben schaffen. Die Folge sei ein Unbehagen in der Kultur: "Heute fürchten wir nicht mehr den Kommunismus, wir fürchten etwas Unbestimmtes, da wir uns des geistigen Grundes beraubt haben, auf dem sich das Vertrauen zum Leben bil- det. Dieses verlorenen Vertrauen wird durch eine unklare Furcht ersetzt. Der Zu- sammenbruch des Kommunismus kann dies nur beschleunigen." Mit solchen Sät- zen handelte sich Kolakowski prompt den Vorwurf ein, er habe sich den marxis-tischen Gott seiner Jugend kurzerhand gegen den christlich Allmächtigen einge-tauscht. Und doch gab es einen entscheidenden Unterschied. Als junger Philosoph hatte er davon geträumt, der Gesellschaft eine absolute Wahrheit zu "implantie- ren"; als postmarxistischer Denker verstand Kolakowski diese Wahrheit nur noch als Grenzbegriff, der die liberale Vernunft vor Hochmut schützt. So glaube ein liberaler Geist, er könne zwischen Gut und Böse einfach wählen, so wie man sich zwischen zwei Gütern entscheide. Für Kolakowski war das ein Irrtum. Das Böse liege vielmehr außerhalb des liberalen Feldes und seiner Unterscheidungen; das Teuflische komme durch einen "Riß" in die Welt, durch eine Lücke im sozialen Gewebe, und deshalb müßten wir stets mit ihm rechnen. "Wir tragen das Bestia-lische unter dem Leib."

Kolakowskis Gedanken gelangten oft erst über fantastische Umwege ins Ziel, bevorzugt über Augustinus, über Pascal oder dessen jesuitische Gegner. Doch wer lange genug hinhörte, konnte in seiner Klage über die Herrschaft des Nützlichen sogar frühmarxistische Motive erkennen, die Krititk der Verdinglichung und Ent- fremdung, überhaupt die Angst vor einer Gesellschaft, die sich vollständig in ein Reich der Zecke verwandelt. Heute würde man sagen: Kolakowski fürchtete ein System, das alle Lebensäußerungen zur Effizienz bringt und in dem sich die Subjek- te nur noch als Funktionsmonaden begegnen  - und nicht mehr als Menschen, als "mythomane Wesen".  Daß Kolakowski immer wieder den Priester gegen den Narren ausspielte, daß er vieles in der Schwebe hielt und immer wieder das "Lob der Inkonsequenz" sang, sollte dem Leser aber nicht täuschen. Der Widerspruch war für ihn die erste Quelle der Toleranz für eine "Güte ohne Nachsicht, für Mut ohne Fanatismus, für Intelligenz ohne Verzweiflung und Hoffnung ohne Ver- blendung"...