~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~

Oliver Müller

Umweltpolitik am Scheideweg

~ Biotreibstoffe in der Diskussion ~



Kirche und Gesellschaft - Herausgegeben von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle 41065 Mönchengladbach, Brandenburger Straße 33,  Nr. 348
Tel. 02161/815960 ~ Fax 02161/8159621 ~ www.ksz. de ~ kige@ dsz.de

(Auszug)... Der Kampf um die knappen Energieressourcen dieser Welt wird sich in den nächsten Jahrzehnten weiter zuspitzen.. Auch der Begriff "Bio" suggeriert Nachhaltigkeit und Natürlichkeit, ist doch diese Vorsilbe geradezu zum Symbol für eine verantwortliche Lebensweise geworden. Doch die Wirklichkeit ist weit komplexer. "Biotreibstoffe" sind ein Musterbeispiel dafür, daß im Grunde sinnvolle Technologien in einem globalen Kontext durchau fatatale Folgen haben können. Aus diesem Grund sprechen zahlreiche Wissenschaftler und Organisationen inzwischen nur von nachwachsenden Rohstoffen oder Agrartreibstoffen. Es gilt zu verhindern, daß der grüne Kraftstoff mehr Schaden als Nutzen für Klima und Umwelt bringt...


Für die ärmsten Länder, die bis zu 50 Prozent ihres Nahrungsmittelbedarfs mit Importen decken, sind die steigenden Lebensmittelpreise katastrophal. Wer  mit weniger als 30 Euro im Monat auskommen muß, wie Hunderttausende von Rischkafahrern in Bangladesh, ist damit akut vom Hunger bedroht. Laut FAO leiden derzeit 854 Millionen Menschen chronisch an Hunger, vor allem in Afrika, aber auch im Nahen Osten, Zentralamerika und Teilen Südostasiens wächst die Zahl...


Betroffen von der "Agflation" - darunter versteht man eine inflationäre Entwicklung aufgrund steigender Agrarpreise - sind mittlerweile auch die Hilfsorganisationen. So kämpft der größte Lebensmittelverteiler der Welt, das Welternäh- rungsprogramm der Vereinten Nationen (World Food Programme/WFP), der rund 10 Prozent der Hungernden weltweit versorgt, mit knapper werdenden Mitteln. In Namibia sah sich die Organisation gezwungen, die Nahrungsmittelrationen von 90.000 Waisen-Kindern zu kürzen...


Die Welternährungsorganisation FAO befürchtete jüngst in ihrem Ernährungsbericht "Food Outlook", daß die traditionelle  Produktion von Nahrungs- und Futtermitteln zurückgehen könnte zugunsten der Agrartreibstoffe, aus dem einfachen Grund, daß deren Marktpotential weit höher eingeschätzt wird...


"Die Zahl der Hungernden erhöht scih mit jedem Prozent Preissteigerung für Grundnahrungsmittel um 16 Millionen. Das bedeutet, daß im Jahr 2025 1,2 Milliarden Menschen hungern könnten - 600 mehr als wir 2003 prognostizierten", so die US-amerikanischen Ökonomen C. Ford Runge und Benjamin Senauer...


Nach Ansicht der Allianza Social Continental, einer Organisation von Bürgerbewegungen auf dem ameri- kanischen Kontinent, ist die massive Landflucht in ganz Lateinamerika die Folge der sich ausbreitenden Landnahme durch Investoren und Konzerne, die Großprojekte im Bereich des Tourismus, der Wasserkraftnutzung und des Abbaus von Rohstoffen realisieren wollen; vor allem aber für landwirtschaftliche Produktion. Dieser Landhunger treibt viele Menschen in die Slums der großen Städte Lateinamerikas...


Die Agrarindustrie schielt auch auf bislang ungenutzte Flächen. Das ist in den Tropen vor allem der Regenwald. Am schlimmsten ist die Lage in Indonesien, wo jährlich rund 20.000 Quadratkilometer, das entspricht etwa der Fläche Hessens, gerodet werden - sehr oft illegal. Das Land möchte seine Palmölplantagen bis ins Jahr 2020 um rund 200.000 Quadratkilometer ausweiten. Das entspricht etwa der Fläche von England und Schottland zusammen...


Nicht besser sieht es in Brasilien aus. Offiziel verschwinden dort jährlich 16.700 Quadratkilometer Urwald. Die Katholische Bischofkonferenz forderte Präsident Lula bereits auf, den Kahlschlag zu stoppen...


Der Nobelpreisträger Paul Crutzen hat nachgewiesen, daß der Treibhauseffekt mit von einem Liter Rapsdiesel 1,7 -mal höher ist als der von herkömmlichen Diesel; Ethanol schneidet um 60 Prozent schlechter ab als  normales Benzin...


Was ist in der gegenwärtigen Situation ethisch geboten? Die unbequeme Antwort lautet: Wir stoßen mit unserem Lebensstil  kollektiv an Grenzen... 


Der durch den nachwachsenden Energiebedarf mitverursachte globale Klimawandel - sei es durch fossile Brennstoffe oder "Bioenergie" - erweist sich als umfas- sendste Herausforderung für die Schöpfungsverantwortung, für Gerechtigkeit und Solidarität mit den Armen...

 Dr. Oliver Müller, Leiter von Caritas international, dem Hilfswerk der deutschen Caritas, Sitz in Freiburg /Breisgau.