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~ Zeignis für die bessere Politik ~    

Bundeskanzler Helmut Schmidt zum  90. Geburtstag des Sozialwissenschaftlers Oswald von Nell-Breuning

(Rheinischer Merkur vom 7. 2. 1980 - Foto: Verleihung des Nell-Breuning-Preises an Helmut Schmidt, Trier, 2005, Schmidt, OB Schröer, Bernhard Vogel (Vors. Konrad-Adenauer-Stiftung), Ministerpräsident Kurt Beck, Bischof Reinhard Marx



So vielfältig Theologie, Philosophie, Gesellschaftswissenschaften und Politik miteinander verzahnt sind - sie gehen nicht ineinander auf. Wird die Spannung zwischen ihnen durchgehalten, werden sie sich gegenseitig kritische Potenziale zu vertiefter Erkenntnis sein können. Spezialisierung ist die Folge - aus ihr wiederum folgt die Aufgabe, Politiker, Gesellschaftswissenschaftler, Philosphen und Theologen zu produktivem Gespräch zusammenzuführen. Anderenfalls folgt steriles Spezialistentum, droht Entfremdung.

Oswald von Nell-Breuning, der am 8. März diesen Jahres 90 Jahre alt wird, hat das alles in seiner Person zusammengehalten. Als Theologe, Philosoph, Gesell-schaftswissenschaftler, Politiker, jeweils Fachmann von hohem Range , vermochte er, in seiner universalen geistigen Persönlichkeit alle Spezialisierung und Ver- einzelung aufzuheben: ein exemplarisches Leben, ein Leben im Zusammenhang des Ganzen, an dem viele Maß nehmen konnten und Maß genommen haben, die ihren spezialisierten Aufgabenbereich auf das Ganze hin zu gestalten versuchen, damit ihr Wirken nicht Stückwerk sein. Werden wir immer "maßgebende" Persönlich- keiten vom Rang Oswald von Nell-Breunings unter uns haben?

Der Mann, den ich ehren und dem ich danken möchte, hat es auf über tausend wissenschaftliche Veröffentlichungen gebracht, unter denen wirtschafts-wissenschaftliche und sozialethische Titel dominieren. Sein Denken hat viele Menschen erreicht - es hat vor allem auch die politisch Verantwortlichen erreicht. Vielfältig hat er unmittelbar mitgestaltend sachverständigen Rat in politische Entscheidungsprozesse eingebracht, zum Beispiel hat er die deutsche Sozialpolitik der Nachkriegszeit ganz wesentlich mitgeprägt.  Für den Wissenschaftler Oswald von Nell-Breuning interessiert sich heute die Wissenschaft. Die Summe seines Lebens aber läßt sich aus der bloßen Addition seiner Werke und seines öffentlichen Wirkens nicht gewinnen. Sein Beispiel gehört dazu, sein Stil, sein Zeugnis gelebten Christenglaubens. Nirgendwo verwischt er Grenzen, auch nicht die Grenzen der von ihm gemeisterten Wissenschaften - er fügt zusammen. Seine Detailgenauigkeit ist nicht Stoffhuberei, sondern Treue zur Sache. Seine Disziplin des Denkens findet Entsprechung in der Disziplin der Lebensgestaltung. Seine Strenge ist die des Ernst-Nehmens, sein Ernst-Nehmen das der Menschenfreundlichkeit und der Seelsorge. Um geben zu können, läßt er sich nicht vereinnahmen.

Unter der Entfremdung der Arbeiterschaft von Christentum und Kirche hat Oswald von Nell-Breuning ein Leben lang gelitten, an der Überwindung dieser Entfremdung in der Arbeiterschaft und in seine Kirche hinein ein Leben lang seelsorgerisch, wissenschaftlich und politisch gearbeitet. Er lehrt,  wie Marktsteuerung und Privateigentum in den Dienst des Menschen genommen werden können, damit sie nicht Macht über den Menschen gewinnen. Er kämpft  für die Mitbestimmung und gegen die Ungleichheit der Vermögensteilung. Er holt die Soziallehre seiner Kirche aus der Gefahr der Alles- und Besserwisserei zurück in die große und einfache Wahrheit, daß in einer guten Ordnung der Mensch Ursprung, Träger und Ziel aller Sozialgebilde und allen sozialen Geschehens ist.

Die Sozialprinzipien, die darau folgen, lassen Gestaltungsräume frei, die er gegen Grenzüberschreitungen verteidigt. Die Offenheit der Problemlösung, die Offenheit der pluralistischen Gesellschaft wird von ihm nicht kulturpessimistisch bejammert, sie ist ihm vielmehr Ausdruck der Achtung der Würde des Menschen; sie in den Grundwerten demokratischer Gesittung zu verankern, ist das Thema seiner sozialethischen Schriften. So hat Oswald von Nell-Breuning auf die gewerk- schaft- liche Problematik ebenso Einfluß genommen wie auf die Programmarbeit der Bundestagsparteien. Die kritische Begleitung, die wir Sozialdemokraten von ihm erfahren haben, war stets von besonderer Symphatie geprägt. Dafür danke ich ihm auch für viele Freunde in der sozialdemokratischen Partei. Die deutsche Sozial- demokratie wird stets zu würdigen wissen, was sie Oswald von Nell-Breuning ver- dankt. Wir wünschen ihm gute Gesundheit und ungebrochene Schaffenskraft.

       Auch der Bundeskanzler beglückwünscht Oswald von Nell-Breuning zu seinem 90. Geburtstag. Die Hilfe, die ich von ihm erfahren durfte, läßt sich nicht leicht beschreiben. Aber als ich mich im sozialpolitischen Gespräch  an einer Stelle mit Papst Johannes Paul II. auf Nell-Breuning berief, da sagte der Papst "Ja - das ist ein ganz Großer." Genauso empfinde ich es auch. Daß mir der Rat und die menschliche Verbundenheit dieses Mannes zuteil wurde, erfüllt mich mit Dankbarkeit.