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Was macht den Erfolg einer Religion aus?

Richard Sosis

Richard Sosis began his graduate career at hte University of Michigan in the Department of Antropology and the interdisciplinary Evolution and Human Behavior programm. He completed his doctorate in anthropology at the University of New Mexiko's Human Evolutionary Ecology Program and taught there for a year before moving to Connecticut. He currently holds position at the University of Connecticut (1)and the Hebrew Univer- sity of Jerusalem (2). His work has focused on the evolution of coope-ration and the adaptive significance of religious behavior. To explore these issues, he has conducted fieldwork with remote cooperative fi- shers in the Federated States of Micronesia and with various communi- ties throughout Israel, including Ultra- Orthodox Jews and members of secular and religious kibbutzim. He has also pursued ethnohistorical re- search on 19th century communal societies and conducted economic ex- periments with non-student populations in the United States and Israel.

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ZEIT-Interview (Ulrich Schnabel/Auszug), 8, 2009.

ZEIT: Prof. Sosis, als Religions- anthropologe erforschen Sie Faktoren, die den Erfolg religiöser Kommunen aus- machen. Eines Ihrer verblüffenden Ergebnisse lautet: Je strikter eine Gemein- schaft das Leben ihrer Gläubigen reglementiert, umso dauerhafter ist sie. Gilt dies auch für die katholische Kirche?
Sosis: Man muß vorsichtig sein, unsere Modelle zu verallgemeinern. Religion ist ein komplexes Phänomen, und das Feld der Religionsanthropologie ist noch jung. Aber im Großen und Ganzen würde ich Ihre Frage bejahen. Zwar kann man die ka- tholische Kirche nicht direkt mit jenen Kommunen vergleichen, die wir in unse- rer Studie untersuchten. Aber auch um Mitglied der katholischen Kirche zu sein, muß man gewisse Gebote und Einschränkungen befolgen. Und eine mögliche Funktion dieser Verplichtungen ist es, Gemeinschaftsinn und Zusammenhalt zu erzeugen.

ZEIT: Manche Religionsforscher sprechen in diesem Zusammenhang von "kost- spieligen Signalen". Was ist damit gemeint?
Sosis: Wer sich religiösen Einschränkungen unterwirft, signalisiert anderen Gläubi- gen damitseine Ersthaftigkeit und seine Bereitschaft, sich der Gruppe unterzuord- nen. Er bringt also seinem Glauben und der Gruppe Opfer. Und je größer diese Op- fer sind, umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß der Gläubige sein Engage- ment nur vortäuscht. Das nennen wir in der Evolutionsbiologie ein "schwer zu fäl- schendes" oder "kostspieliges Signal".

ZEIT: Es gibt Wissenschaftler, die auf der Basis dieser Theorie argumentieren, das 2. Vatikanische Konzil sei ein Fehler gewesen. Die damals beschlosssene Libera- lisierung haben den Gruppenzwang gesenkt, der das Erfolgsprinzip religiöser Ge- meinschaften ist. Aus dieser Perspektive wäre also ein konservativer Kurs ange- raten.
Sosis: Wir haben es hier mit einer Abwägung zu tun: Was gewinnt eine Kirche, wenn sie gewandelten gesellschaftlichen Überzeugungen entgegenkommt - und was verliert sie? Werden die tradierten Regeln gelockert, mag das Mitglieder halten, die sonst vielleicht abgewandert wären; aber das geht meist auf Kosten ihrer Ver- bindlichkeit und ihres Engagements. Und genau das beobachten wir in Nord- amerika und Europa: Die Gläubigen gehn seltener zum Gottesdienst, befolgen Fa- stenzeiten und Gebote weniger strikt, engagieren sich weniger in der Gemeinde und so weiter...



ZEIT: Ist der Papst auf die Meinung des katholischen Fußvolks angewiesen?
Sosis: Was mich bei der Erforschung von Religion fasziniert, ist zu sehen, wie dynamisch das Wechselspiel zwischen Religionsführern und Gläubigen ist. Es gibt nicht nur die Einbahnstraße der von oben verordneten Doktrinen, viele Einflüße gehen auch von der Basis aus. Erfolgreiche Religionen sind stets dadurch gekenn- zeichnet, daß ihre Führungsspitze nicht einfach blind dekretiert, sonder im Ein- klang mit der Bereitschaft ihrer Mitglieder handelt. Das ist eine delikate Spannung. Auch die katholische Kirche muß durch dieses Spannungsfeld navigieren. Ange- sichts der Diversität der verschiedenen Gemeinden in aller Herren Länder scheint das eine fast unmögliche Aufgabe zu sein. Es ist ziemlich bemerkenswert, wie das bisher funktionierte.

ZEIT: Ihre eigene Religion, das Judentum, kommt ohne so eine hierarchische Struktur aus. Dort wird nicht dekretiert, sondern disputiert. Und dennoch über- dauert das Judentum seit über 2000 Jahren. Ist das ein erfolgreiches Gegen- modell?
Sosis: Ja und nein. Das Judentum mag erfolgreich überlebt haben. Aber schauen Sie sich die Mitgliederzahlen an! Weltweit gehören nur rund 0,2 Prozent der Menschheit dem jüdischen Glaubenan. Zur katholischen Kirche gehören dagegen ein Sechstel der Weltbevölkerung.Und vom evolutionären Standpunkt aus ist die Größe das entscheidende Erfolgskriterium...

ZEIT: Wenn sich das Umfeld ändert, wandelt sich auch der Wert der "kostspieligen Signale". Auf welche Faktoren kann man sich dann noch verlassen? Was sichert den Erfolg einer Religion?
Sosis: In einem Wort - Anpassungsvermögen. Schauen sie sich die Geschichte an. Das Judentum, die katholische Kirche, jede langlebige Religion - sie alle haben sich gewandelt, und sie müssen es weiterhin tun. Allerdings ist es das Kennzeichen des  erfolgreichen Wandels, daß die Gläubigen ihn gar nicht wahrnehmen. Es gehört ja gerade zum Wesensmerkmal der Religionen, daß sie dem Zeitgeist gegenüber ver- änderungsresistent erscheinen. Wer eine Religion erfolgreich modernisieren will, beruft sich am besten auf die alten Texte und erzeugt den Eindruck, im Sinne der Tradition zu handeln. Wird eine Veränderung als Neuerung wahrgenommen - etwa die Einführung eines völlig neuen Rituals  - stößt das oft auf großen Widerstand. Religionen sind dann erfolgreich, wenn sie sich stets ihrer Umgebung anpassen; aber sie müssen das auf eine Art und Weise tun, die für die Gläubigen selbst nicht wahrnehmbar ist.