~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~

XII. Fragen der Bioethik 2

4. Die Anwendung neuer biomedizinischer Methoden hilft in vielen Fällen, das Leiden der Unfruchtbarkeit zu überwinden. Zugleich geeinträchtigt die Zunahme der technologischen Eingriffe in den Prozeß des Aufkeimens des menschlichen Lebens die geistige Integrität und physische Gesundheit der Person. Im gleichen Maße sind die - von alters her grundlegenden - zwischenmenschlichen Beziehungen gefährdet. Mit der Entwicklung der erwähnten Technologien geht die auf natio- naler und internationaler Ebene betriebene Verbreitung der Ideologie sogenannter Reproduktionsrechte einher. Diese Weltanschauung behauptet eine Priorität der geschlechtlichen und sozialen Selbstverwirklichung der Person gegenüber der Sorge um die Zukunft des Kindes, um die geistige und physische Gesundheit der Gesellschaft und deren moralischen Zustand. Allmählich bahnt sich eine weltweite Sichtweise des menschlichen Lebens an, der zufolge es als ein Produkt gilt, das nach persönlichen Präferenzen auswählbar ist und über das verfügt werden kann gleich sonstigen materiellen Gegenständen... (Michelangelo, Erschaffung der Eva)

Die Kirche kann Wege zur Elternschaft, die mit dem Ratschluß des Schöpfers allen Lebens unvereinbar sind, nicht als moralisch gerechtfertigt akzeptieren. Falls der Mann oder die Frau unfruchtbar ist und die therapeutischen und chirurgischen Methoden der Heilung von Infertilität keine Abhilfe geschaftt haben, so sollen sie ihre Kinderlosigkeit in Demut als eine besondere Berufung für ihr Leben anneh- men. Die seelsorgerische Beratung soll in solchen Fällen anregen, eine Adoption in gegenseitigem Einverständnis der Eltern in Betracht zu ziehen. Die künstliche Be- fruchtung mit Samenzellen des Mannes, insofern sie ja die Einheit der Ehege- meinschaft nicht beeeintächtigt, sich von der natürlichen Empfängnis nicht prin- zipiell unterscheidet und im Rahmen der ehelichen Beziehung vorgenommen wird, kann ebenfalls zu den zulässigen Mitteln ärztlicher Hilfe gerechnet werden.

Eine Manipulation aber, die im Zusammenhang mit einer Samenspende entsteht, verletzt die Integrität der Persönlichkeit sowie die Ausschließlichkeit der ehelichen Beziehungen mittels des erlaubten Eingriffs durch einen Dritten... Eine "Leihmutterschaft", d. h. die Einpflanzung einer befruchteten Eizelle bei einer Frau, die nach der Geburt das Kind den "Auftraggebern" zurückgibt, ist widernatürlich und in moralischer Hinsicht inakzeptabel, auch in Fällen, in denen dies auf nichtkommerzieller Basis erfolgt... Unstatthaft aus orthodoxer Sicht sind de weiteren alle Varianten exkorporaler (außerhalb des Mutterleibes erfolgend) Befruchtung, die die Erzeugung, Konservierung sowie absichtliche Vernichtung "überschüssiger" Embryonen einschließt. Namentlich auf der Anerkennung der menschlichen Würde auch des Embryos stützt sich ja die moralische Verurteilung der Abtreibung seitens der Kirche.


5. ... Neben dem Verweis auf die moralischen Wurzeln der Gebrechen begrüßt die Kirche die Bemühungen der Ärzte um eine Überwindung des Erbkrankheiten. Zugleich darf das Ziel eines genetischen Eingriffs jedoch nicht in der künstlichen "Vervollkommnung" des Menschengeschlechts oder in einer Änderung des Rat- schlußes Gottes über den Menschen liegen. Aus diesen Gründen dürfen genthe- rapeutische Eingriffe nur mit Zustimmung des Patienten oder dessen gesetzlichen Vertreters, weiterhin ausschließlich zu medizinischen Zwecken vorgenommen werden. Die gentherapeutische Behandlung von Keimzellen kann von äußerst ge- fährlichen Charakter sein, da von den Veränderungen des Genoms (gesamte Erb- substanz9 eine Folge von Generationen betroffen wäre, was unabsehbare Impli- kationen in Form neuer Mutationen wie auch der Destabilisierung des Gleich- gewichts zwischen dem menschlichen Geschlecht und der Umwelt nach sich ziehen könnte... Genetische Identifikation sowie die genetische Testierung dürfen nur in Überstimmung mit der Achtung der Freiheit der Person durchgeführt werden. Einen ambivalenten Charakter weisen desweiteren die Methoden der pränatalen Diagnostik (der Geburt vorausgehend) auf, mit deren Hilfe eine Erbkrankheit in einem frühen Stadium der Schwangerschaft festgestellt werden kann. Einige dieser Methoden können eine Gefahr für das Leben oder die Unversehrtheit des einem Test unterzogenen Embryos oder der Frucht sein. Die Feststellung einer nicht oder schwer heilbaren genentischen Krankheit wird nicht selten Grund für die Unter- brechung des werdenden Lebens; bekanntlich ist in gewissen Fällen auf die Eltern sogar entsprechender Druck ausgeübt worden. Die pränatale Diagnostik gilt als moralisch gerechtfertigt, wenn sie auf die Heilung der entdeckten Krankheiten in möglichst frühen Stadien oder auf die Vorbereitung der Eltern auf eine situa-tionsgerechte Pflege des kranken Kindes ausgerichtet ist. 

Das Recht auf Leben, Liebe und Fürsorge kommt jedem Menschen zu, ohne einer Krankheit wegen diskriminiert zu werden. Der Heiligen Schrift zufolge ist Gott Selbst "Beschützer der Verachteten" (Jud 9.11)...

7. ... Die Kirche ist der Ansicht, daß die Organe des Menschen nicht wie Gegen- stände des Kaufs und Verkaufs behandelt werden dürfen. Die Transplantation von Organen eines lebenden Spenders setzt unbedingt die freiwillige Selbstaufopferung mit dem Ziel der Lebensrettung eines Mitmenschen voraus. In diesem Fall kommen durch die Einwilligung zur Explantation (Organentnahme) die Liebe und das Mit- leid zum Ausdruck. Letzteres velangt jedoch, daß der Spender über potenziell ge- sundheitsgefährdende Folgen der Organentnahme umfassend aufgeklärt ist. Eine Explantation, die mit einer unmittelbaren Lebensbedrohung für den Spender ein- hergeht, ist moralisch nicht zu rechtfertigen... Moralisch unvertretbar ist außer- dem die Verkürzung des Lebens eines Menschen, einschließlich der Verkürzung durch Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, zugunsten der Verlängerung des Lebens eines anderen. Gemäß der göttlichen Offenbarung bekennt sich die Kirche zum Glauben an die leibliche Auferstehung der Verstorbenen (Jes 26.19; Röm 8.11; 1Kor 15.42-44,52-54; Phil 3.21). Durch den Ritus der christlichen Beisetzung bringt die Kirche die dem Körper des Verstorbenen gebührende Achtung zum Ausdruck...  Die Organe und Gewebe des Spenders werden von dem Empfänger (Rezipient) aufgenommen und bilden nunmehr einen Teil seiner persönlichen seelisch-körperlichen Einheit. In Anbetracht dessen kann eine Transplantation, die eine Gefahr für die Identitätsfindung des Rezipienten in sich birgt, die seine Einzigartigkeit als Person sowie als Repräsentant der Gattung bedroht, unter kei- nen Umständen moralisch gerechtfertigt werden...

Als vorbehaltlos unzulässig erachtet die Kirche die Anwendung von Methoden der sogenannten fötalen Therapie, die auf der Entnahme und Verwendung von Gewe- ben und Organen  von - in verschiedenen Entwicklungsstadien abgetriebenen - menschlichen Embryonen zu Zwecken der Behandlung verschiedener Krankheiten sowie der "Verjüngung" des Organismus beruht.

8. In der heiligen Schrift wird der Tod als das Scheiden der Seele vom Körper be- schrieben (Ps 146.6; Lk 12.20). So kann von einer Fortsetzung des Lebens die Rede sein, solange der Organismus insgesamt funktionsfähig bleibt. Eine unter Einsatz künstlicher Methoden erreichbare Verlängerung des Lebens kann, wenn de facto nur noch einzelne Organe funktionieren, nicht als verplichtende und in jedem Fall wünschenswerte Aufgabe der Medizin angesehen werden... Wenn sich die aktive Therapie nicht mehr als wirksam erweist, soll sie durch palliative Hilfe (Anäs- thesie, Pflege, soziale und psychologische Unterstützung) abgelöst und ebenso durch pastorale Fürsorge. Dies zielt insgesamt auf die Sicherung eines natürlichen


und vom Barmherzigkeit und Liebe begleiteten wahrhaft menschlichen Lebens- endes. Das orthodoxe Verständnis von einem ehrenhaften Tod beinhaltet die Vor- bereitung auf den Lebensabschluß, der als eine geistig gewichtige Etappe im Leben eines Menschen angesehen wird. Der von christlicher Liebe umgebene Kranke kann in den letzten Tagen seines irdischen Daseins unter dem Eindruck eines er- neuten gewissenhaften Nachdenkens über den zurückgelegten Lebensweg und der reuigen Rechenschaft vor der Ewigkeit segensreiche Änderungen in sich verspü- ren... Die dem Tod vorausgehende physischen Leiden werden durch den Einsatz schmerzmindernder Methoden nicht immer effektiv beseitigt... Die Kirche lehnt es ab - in Treue zu Gottes Gebot "Du sollst nicht morden" (Ex 20.13) - ab, die heut- zutage in der Gesellschaft weitverbreiteten Versuche der Legalisierung der soge- nannten Euthanasie, d. h. der vorsätzlichen Lebensverkürzung von unheilbar Kranken (einschließlich auf deren Verlangen), als moralisch vertretbar anzu- erkennen... Das "Recht auf Tod" kann leicht in eine Bedrohung des Lebens derje- nigen Patienten umschlagen, denen es für eine medizinische Betreuung an den er- forderlichen finanziellen Mitteln fehlt... Insofern stellt die Euthanasie eine Form des Mordes oder Selbstmordes dar, je nachdem, ob der Patient daran mitwirkt. Im letzteren Fall unterliegt Euthanasie den geltenden kirchenrechtlichen Regeln, nach denen die mutwillige Selbsttötung, desgleichen die Beihilfe bei deren Durchfüh- rung als schwere Sünde gelten. Dem vorsätzlichen Selbstmörder, der "sich zu die- sem Schritt aus menschlicher Verletzung oder aus anderen, im Kleinmut wurzeln- den Gründen entschlossen hat", wird weder eine christliche Beisetzung noch eine Seelenmesse zuteil (Regel Nr. 134 Timotheos von Alexandrien)... In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, daß die Schuld des Selbstmörders nicht selten auch seine Angehörigen trifft, die nicht imstande waren, tätiges Mitleid und Barmherzigkeit zu zeigen. Die Kirche ruft zusammen mit den Aposteln dazu auf: "Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen" (Gal 6.2).

Lukas Cranach - Das Paradies - 1530