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Besinnung auf den Staat als liberale "Republik"

Politik erschöpft sich nicht im Aushandeln von Positionen, sie ist Wahrnehmung von Verantwortung



Daniel Thürer, Uni Zürich, Neue Zürcher Zeitung, 31, 2009 (Auszug)

Das Gemeinwesen ist Sache des Volkes,
aber das Volk ist nicht irgendeine Menge
von Menschen, sondern eine Menschenmenge,
welche in der  Rechtsauffassung
übereinstimmt und zum gemeinsamen Nutzen vereint ist.
C i c e r o



"... Der Begriff der Republik als solcher als Teil der politisch-rechtlichen  Rheorik nicht verschwunden. Im Gegenteil. Mehr als hundert Staaten nennen sich gegen-wärtig Republiken... Das Konzept wird heute aber vor allem formal, im Sinne einer Nicht-Monarchie, verstanden. In der Sache ist Begriff - Republik heißt im La- teinischen res republica: Die öffentliche Sache - allerdings erloschen. Er besitzt jedoch Gestaltungspotenzial für die Zukunft. Wei wurde er in der Geschichte gedeutet? Montesquieu erklärte 1748 im "Esprit des lois" die Tugend wirkungs- mächtig zum Prinzip der Republik. In Zürich war während des Ancien Régime mit Republik vor allem das Recht des Widerstands gegen die Obrigkeit gemeint, welche die Tugend und die Aufgaben vernachlässigte, für die sie eingesetzt wurde. Rous- seau bezeichnete 1762 in seinem "Contract social" als Republik den von Gesetzen regierten Staat, in dem die öffentliche Angelegenheit etwas gelte. Und der Genfer Staatsphilosoph Benjamin Constant (Foto unten) war überzeugt, daß die gemein- same Ausübung von Souveränität den Geist der Bürger "erweitere" und die Men- schen über ihren eigen Alltagshorizont "erhebe".



Daraus leitet sich die heutige Auffassung ab, wonach drei Elemente den repu- blikanischen Staat kennzeichnen:

1. Der Staat ist Sache der Allgemeinheit udn ist wichtiger als die Personen, die Macht in ihm ausüben.
2. Politik ist Sache der Öffentlichkeit; sie soll transparent sein; sie hat grundsätzlich Primat über die Wirtschaft und andere gesellschaftliche Mächte.
3. Politik erschöpft sich nicht im Aushandeln von Interessenpositionen; ihr Ziel ist die Wahrnehmung von Verantwortung durch Behörden und Bürger für das Gemeinwesen als Ganzes.

Republikanisches Ideengut ist im Zusammenhang mit der Wahl des 44. Präsiden- ten der Vereinigten Staaten schlagartig wieder ins öffentliche Bewußtsein getreten (wobei "republikanisch" natürlich nicht parteipolitisch gemeint ist). Barack Obama knüpfte an beste amerikanische Staatstradition an, wie sie vor ihm etwa James Ma- dison (Foto unten), Thomas Jefferson, Abraham Lincoln, John F. Kennedy und Martin Luther King vertreten hatten. In seiner Inaugurationsrede vom 20. Januar rief er seinen Mitbürgern zu, sie alle seien zusammengekommen, "weil sie Einheit des Ziels über Konflikt und Zwietracht stellten". Er erinnerte an die vielen hervor-ragenden Bürger, für die Amerika immer mehr sei als die Summe von individuellen (auch partikularistischen) Ambitionen.



Er wies darauf hin, was freie Männer und Frauen erreichen können, wenn  Ima- gination gepaart sei mit einem gemeinsamen Ziel und dem notwendigen Mut. Er bezeichnete Amerika als Freund jeder Nation und jedes Menschen, ob Mann, Frau oder Kinsd, die eine Zukunft in Friede und Würde anstrebten. Und er sagte:

Was von uns gefordert ist, ist eine neue Ära der Verantwortlichkeit: eine Anerkennung durch jeden Amerikaner, daß wir Pflichten uns selber gegenüber, gegenüber der Nation und der Welt haben, Pflichten, die wir nicht widerwillig auf uns nehmen, sondern viel- mehr freudig ergreifen. Das sind der Preis und die Verheißung dafür, was es heißt, Bür- ger zu sein...

Zunächst fällt auf, wie einseitig im Westen "Verfassungsstaat" und "Rechtsstaat" mit dem negativen Freiheitsprinzip verknüpft sind. Demgegenüber stellen etwa die interamerikanische Menschenrechtskonvention und die afrikanische Charta der Menschenrechte den Rechten der Menschen auch Pflichten zur Seite. Auch räu- men  die Instrumente des internationalen Menschenschutzes den politischen Rech- ten einen eher untergeordneten Platz ein. Sie stellen nicht den selbstbewußten "citoyen actif" ins Zentrum; als Leitbild dieser Texte erscheint vielmehr der Mensch als "Objekt" oder "Konsument" von Rechten, die ihm "gewährt" werden. Aus dem Verständnis de Gemeinwesens als moderner Republik sollten im Verfas- sungsrecht der Staaten und im Völkerrecht die Ideen der kollektiven Verantwort der Bürger eine Aufwertung erfahren.



Weiter stehen in einem republikanischen Staat keine Inhaber von staatlicher oder gesellschaftlicher Macht - auch keine Wirtschaftsführer - über dem Recht oder außerhalb des Rechts; sie sind für die Art der Ausübung von Macht der Öffentl- ichkeit gegenüber Rechenschaft schuldig... Kennt der Staat keine genügenden Instrumente, um solche Machthaber im Falle von massiven Verletzungen ihrer Pflichten zur Verantwortung zu ziehen, so sind entsprechende strafrechtliche, zivilrechtliche oder öffentlichrechtliche Verfahren neu zu schaffen. Politik setzt die Grundlagen und den Rahmen für die Gestaltung der Wirtschaft. Die Spielregeln der Machtausübung werdem - direkt oder indirekt - vom Bürger öffentlich be- schlossen. Wichtig an Obamas Rede war schließlich, daß sie den Respekt vor den Anderen, auch vor Fremden, in die (Gemeins-) Verantwortung des Staates ein- bezog... Es ist zu fragen , wie diese republikanische Idee umgesetzt werden soll. Als Erstes aber ist die Frage zu beantworten, inwiefern gegenwärtig ein Wandel des Bewußtseins stattfinden muß. Idee und Konzept der Republik sind ein zentraler Orientierungspunkt. Sie fordern, daß wir, an der Schwelle unsicherer Zeiten ste- hend, das Gemeinsame sehen und zusammenstehen.