~~ CHRISTLICH - SOZIALE POSITION ~~ ~~~ ~~~ INITIATIVE MENSCH & ARBEIT ~~~~~~~~~~~~~

"Ich glaube nicht daran, daß sich der angelsächsiche Kapitalismus auf Dauer durchsetzten wird."

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident

Jürgen Rüttgers

über Politik für die Schwachen, Unternehmen, die nur die Interessen der Aktionäre bedienen, und die Zukunft der CDU (ZEIT, 12, 2008)

OB Schramma, Bischof Huber, Jürgen Rüttgers, KAB-Präses Schneider


ZEIT: Aber eine Dominanz linker Forderungen: gegen Hartz IV, für mehr staatlich garantierte Sicherheit und soziale Gerechtigkeit. Damit ist die Linke erfolgreich.

RÜTTGERS: Aber das sind doch keine linke Themen. Das sind Themen der sozia- len Marktwirtschaft. Daß das heute links wirkt, hat damit zu tun, daß in den letz- ten Jahren ein neoliberaler Diskurs geführt wurde. Daher wirkt die Rückkehr zu den Grundsätzen der sozialen Marktwirtschaft wie ein Linksruck. Die CDU hat auch immer Politik für die Schwachen gemacht, sie wollte immer Wohlstand für al- le. Darum liegen wir im Parteienwettbewerb vorne.

ZEIT: Weil Sie den Kurswechsel von neoliberal zu sozial in der CDU durchgesetzt haben?

RÜTTGERS: Wir reden zumindest nicht mehr nur über den Shareholder-Value, sondern darüber, wie es den Arbeitnehmern in Deutschland  geht. Nokia ist ein klassischer Fall: Betriebsrat und IG-Metall haben alles getan, um ein Kostenniveau wie in Ungarn zu erreichen und den Betrieb in Bochum zu halten. Trotzdem hat die Unternehmensführung in Helsinki sich geweigert, die Rationalisierungsvorschläge der Belegschaft aufzugreifen. Arbeiter wie die bei Nokia nennt jeder Politiker vor- bildlich: Die machen einen guten Job, die sind flexibel, die wollen sich von ihrem Lohn ein Häuschen bauen und ihren Kindern zu einem guten Schulabschluß ver- helfen - klassische Leistungsträger unserer Gesellschaft. Nun erleben sie plötzlich, daß es auf ihre Leitstung nicht mehr ankommt. Daraus entwickelt nicht nur Frust, sondern auch tiefe Verunsicherung... (unten: Fritz Art - Düsseldorf Landtag)


ZEIT: ... auf die Sie als national agierender Politiker keine Antwort geben können.

RÜTTGERS: Meine These ist: Die soziale Marktwirtschaft ist das Modell , daß sich weltweit durchsetzen kann. Ich glaube nicht daran, daß der angelsächsische Kapi- talismus sich auf Dauer weltweit durchsetzt...  Wir haben keine Probleme zuzu- geben, daß die Agenda 2010 psychologisch im Land etwas verändert hat. Die Maß- nahmen aber waren grottenschlecht gemacht und hatten Nebenwirkungen, unter denen nicht nur die SPD leidet,sondern vor allem die Menschen im Land. Hartz IV ist eine schönes Beispiel: Die Grundidee, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusammen- zulegen, war richtig. Am Schluß aber haben wir 6,5 Milliarden Euro mehr für das neue System ausgegeben, und jeder ist unzufrieden...  Wahr ist:  Deutschland driftet immer mehr auseinander, in Arm und Reich, in Gebildet und Ungebildet, in  Ost und West, in  Zuwanderer und Einheimische. Wir müssen die Einheit des Landes wieder herstellen. Das heißt: Kampf gegen die Altersarmut, Kampf gegen die Bildungs- ferne und soziale Verwahrlosung, Kampf gegen Paralellgesellschaften. Meine Grundthese ist: Es gibt heute keinen  Widerspruch mehr zwischen Wirtschafts- politik und Sozialpolitik. Wirtschaftspolitik ist gleichzeitig auch immer Sozial- politik. Kein Unternehmer wird wirtschaftliche Entscheidungen trefffen können, ohne daß er gleichzeitig soziale Bedingungen berücksichtigt. Die Konzern er- kennen inszwischen die fatalen sozialen und politischen Folgen rein ökonomi- scher Gewinnmaximierungsentscheidungen. Sie erkennen, daß sie so auch die Akzeptanz auf ihren Märkten zerstören. Ein Negativimage schadet am Markt.

... Ich sage, wir brauchen kein e neue Umverteilung, wir brauchen mehr Klarheit über die Spielregeln unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik. Stichwort Altersar- mut: Jemand, der arbeitet, muß mehr Rente haben als jemand, der nicht arbeitet. Wer mindestens 35 Jahre Beiträge gezahlt hat, der muß auch eine Rente oberhalb des Niveaus von Hartz IV bekommen, selbst wenn er nur niedrige Beiträge leistet. Die SPD antwortet darauf mit dem  Mindestlohn. Aber der  löst dieses Problem nicht. Wenn Sie 40 Jahre lang zum Mindestlohn von 7,50 Euro arbeiten, dann liegen Sie im Alter unter Hartz -IV-Niveau. Zweites Beispiel: Jedermann muß die Möglichkeit haben, für das Alter zusätzlich privat vorzusorgen. Denken Sie mal an jemand, der auf eigener Rechnung mit dem Lkw Güter transportiert. Früher waren diese Leute angestellt, heute gibt es da viele Selbstständige. Ich glaube, daß der Kreis  der Zuschußberechtigten bei der Riester-Rente auf Selbstständige ausgeweitet werden muß. Drittes Beispiel: Heute dürfen Sie 250 Euro Erspartes pro Lebensjahr behalten, wenn Sie in Hartz IV rutschen. Wer privat vorsorgt, muß mehr haben, als derjenige, der nicht vorsorgt....